Hi zusammen,
heute habe ich ein ernstes Thema. Ich war jahrelang Verfechter der Atomkraft, weil ich einfach die Erfindungen und Entdeckungen von Einstein, Curie und Hahn einfach zu geil fand. Aber andererseits wird man als jetzt Mitdreißiger immer mit Berichten von erhöhten Krebszahlen in der Nähe von Atomkraftwerken sein Leben lang bombardiert.
Also wo ist der Ausweg aus dem Dilemma? Man guckt sich selbst die vorhandenen Statistiken an in der Zeit des Internets. Die Kernkraftbefürworter behaupten, dass der Zusammenhang – wenn überhaupt – statistisch im Promillebereich liegt (dazu später mehr), die Atomkraftgegner überspitzen und malen den Teufel an die Wand.
So beginnen wir mit einer Anfangsstatistik:
http://de.statista.com/statistik/daten/studie/182514/umfrage/krebs-haeufigkeitsrate-in-europa/
Frappierend ist das Maxima und das Minima. Die Türkei hat die niedrigste Rate, Frankreich die höchste. Man kolportiert heutzutage auch gerne, dass Krebs durch Ernährung verursacht wird. Und dass deswegen Krebs in südländischen Staaten seltener vorkommt. Allerdings hat Frankreich mit Süd- und Südwestfrankreich auch Zugang zum Mittelmeerraum und auch eine südländisch geprägte Ernährung, so kann das eigentlich nicht stimmen oder der Zusammenhang ist kleiner, als ein Zusammenhang, den wir bisher nicht sicher kennen.
Und Grundlage sind jetzt zwei weitere Statistiken:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kernenergie_nach_L%C3%A4ndern
#%C3%9bersicht
und
http://t.co/l3GzEwF00K der OECD
Die erste Statistik besagt, dass die Türkei kein Atomkraftwerk hat und erst gerade dabei ist, eins zu bauen. Die zweite Statistik besagt, wenn man sich die Raten von Lungenkrebs, einer der Hauptkrebsarten anguckt, dass diese in der Türkei und Frankreich absolut gleich sind.
So einfach so gut, wenn ich jetzt schon die einfache Statistik sehe: Doppelt so viele Krebsfälle pro 100.000 Menschen in Frankreich wie in der Türkei. Und dann auch noch die Lungenkrebsfälle herausrechnen würde, wodurch noch ein krasseres Verhältnis entstehen würde. Dann wäre ich bei einem klaren Zusammenhang zwischen den Atomkraftwerken im Land und der Krebsrate, wenn es der einzige Parameter ist.
Das habe ich so auf Twitter unterstellt. Da kam natürlich mein schlauer Cousin Dr. Henryk Gerlach, seines Zeichen Mathematiker, und sagte, ich könnte so nicht rechnen, weil ich das demographisch normalisieren müsste. Und da hat er natürlich Recht, ich habe eine gleiche Altersverteilung der Menschen in der Türkei und in Frankreich vorausgesetzt. Da Krebs eher im gehobenen bis hohen Alter vorkommt, ist das ein vollkommen richtiger Punkt.
https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/tu.html
und
https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/fr.html
kommen hinzu. Bitte bei beiden den Society Reiter öffnen. Da sieht man, dass die Türkei 14,5% der Bevölkerung über 55 Jahre hat, Frankreich hingegen 30,5%. Klar, die Bevölkerung in Frankreich ist älter, also erkranken auch prozentual mehr an Krebs.
Hier kommt mein Gefühl für Zahlen. Die Rate für Krebs ist doppelt so hoch in der Türkei wie in Frankreich, der Bevölkerungsanteil der Über-55-jährigen nahezu die Hälfte. Daraus folgt, dass nahezu 100% Krebserkrankungen im Alter über 55 Jahren sein müssten, damit die Abweichung in der Krebsrate alleine durch Demographie erklärt werden könne.
Mein Cousin meinte, dass in der Türkei die Leute weniger zum Arzt gingen, also dass die Dunkelziffer hoch sei. Ich meine, die Türkei gewinnt langsam wieder Lust an Zahlen und Statistiken und ist bei Weitem nicht rückständig. Außerdem bezweifele ich, dass der Gang zum Arzt die Rate nur hoch treibt. Genauso gibt es Tipps zur Vorsorge und zur Verhütung von Krebs bei den Ärzten, von daher überzeugt mich das Argument überhaupt nicht.
Wie gesagt, wäre die höhere Krebsrate in Frankreich alleine durch Demographie zu erklären, müsste Krebs zu 100% im Alter über 55 entstehen. Die Wahrscheinlichkeit liegt aber bei 80% oder ein bisschen höher. Ich rechne jetzt weiter mit 80%.
Geht man davon aus, dass die Türkei und Frankreich gleich viel Bewohner haben, was nicht der Fall ist, weil die Türkei mehr hat, dann rechne ich mit 80 Millionen Menschen. Aus den deutschen Zahlen siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Krebs_(Medizin)#Statistik, vor allem aus der Gesamtzahl der Neuerkrankungen, kann man schließen, dass durchschnittlich jeder 2. an Krebs erkrankt. Die Zahl 469.000 Neuerkrankungen im Jahr, bedeutet ca. vier Millionen in acht Jahren, und das mal 10 genommen, sind das 40 Millionen, also die Hälfte meiner 80 Millionen Einwohner in Deutschland. Natürlich ist das ungenau, weil die Neuerkrankungen nicht 500.000 sind und auch das Durchschnittsalter nicht 80 ist. Aber wenn ich sage, dass die Hälfte der Leute dann in Frankreich an Krebs erkranken, dann kann ich damit rechnen.
So wir haben 40 Millionen Erkrankungen. Ich liebe absolute Zahlen, alles andere kann Augenwischerei sein. Und wir gehen davon aus, dass 80% über 55 sind.
Dann sind von den 40 Millionen Erkrankten 32 Millionen dabei, die die Krankheit erst über 55 bekommen haben. Also haben 8 Millionen sie schon darunter bekommen.
Wenn ich jetzt sage, diese 8 Millionen bleiben auch in der Türkei fix. Und über 55 ist dann die Zahl der Erkrankten die Hälfte wegen der Demographie. dann komme ich auf 24 Millionen Erkrankte in der Türkei und 40 Millionen Erkrankte in Frankreich, wenn Frankreich denn 80 Millionen Einwohner hätte. Das heißt, das Verhältnis liegt bei 60%. Es müsste aber laut Inzidenzrate bei 50% liegen.
Das heißt 10% der Bevölkerung erkranken an einem Auslöser von Krebs in Frankreich, der in der Türkei nicht vorhanden ist. Und sorry, ich habe schon erwähnt, dass ich den Nahrungsfaktor nicht gelten lasse. Natürlich werden auch die stolzen Türken behaupten, dass es an einer genetischen Unterschiedlichkeit liegt. Gut, das müsste wer untersuchen und Zahlen vorlegen.
So sehe ich nur Atomkraft in Frankreich sehr ausgeprägt und in der Türkei nicht vorhanden. Auf die Promillezahlen bei der Atomkraft kommt man nur, wenn man die 10% durch 80 teilt und dann die 0.125 % oder 1,25 Promille hat. Das ist aber der Anteil der Strahlenkrebsneuerkrankungen an der Gesamtbevölkerung. Auch auf die 3% von Wikipedia komme ich weiß Gott nicht.
Deutschland übrigens hat auch Atomkraft, hat aber nur ein Viertel der Reaktoren, die der Franzose hat und liegt damit im oberen Mittelfeld bei den Krebsinzidenten. Ich rechne das Ganze gerne auf Zuruf nochmal für Deutschland auf.
Was lernen wir daraus: Der Atomausstieg ist nicht nur nach Fukushima unausweichlich, auch wenn dieses Ereignis erst ein Umdenken in Deutschland bewirkt hat. Und außerdem lernen wir: Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst durchgerechnet hast. Ich werde weitere bringen, unter anderem zu der komplett falschen Preissteigerungsrate in Deutschland.
Ja, als Prognose bleibt übrig: Wenn der Franzose und der Türke so weiter aufhören zu rauchen, wie es im Moment Mode ist, dann werden wahrscheinlich beide Inzidenten fallen. Ich sage aber, dass die der Türken, wenn sie wirklich Atomkraftwerke bauen, nicht so krass fallen wird. Und in Hinblick, wenn man den Lungenkrebs herausrechnet, werden die Krebszahlen in der Türkei eher steigen.
Ja, ich hoffe, das war euch jetzt nicht zu ernst, wie sagt der Kölsche: Et hätt noch immer jot jejange 🙂
Liebe Grüße
Euer Till